Die Musikanten am Parthenon-Nordfries

Ein altes Bildprogramm am modernsten Bauwerk seiner Zeit?

von

Helmut Brand

 

Die wohl bedeutendste Darstellung altgriechischer Musik findet sich am Nordfries des Parthenon (Platten 40-48). Der Musikantenzug besteht aus vier Aulos- und vier Kitharaspielern und geht hinter den den Opfertieren folgenden drei Skaphephoren und vier Hydriaphoren (Krug- und Hydriaträgern). Die zum Opfer ausgewählten Tiere bestehen aus vier Rindern und  vier Schafen als Zusatzopfer. Die Aulosspieler gehen, wie üblich, vor den Kitharöden. Die Platten sind stark zerstört, doch wurden sie von Carrey 1674, kurz vor der Explosion 1687, noch vollständig gezeichnet. Von den Kitharaspielern sind noch Reste der drei hinteren der ursprünglich vier Musikanten erhalten, aus denen hervorgeht, daß sie besonders prächtig mit Peplos, Ärmelchiton und Himation bekleidet waren. Diese Tracht wird ab dem  4. Jh. v. Chr. typisch für Apollon kitharoidos (siehe Abb. rechts). Die erhaltenen Instrumentreste lassen auf große Prunkkitharen mit rechteckigen Schallkästen schließen. Aus den Zeichnungen Carreys geht hervor, daß der (heute verlorene) vordere Kitharaspieler bärtig, die Auleten dagegen unbärtig waren. Von den Auleten ist heute nichts mehr erhalten. Die Carreyschen Zeichnungen lassen erkennen, daß die Auleten beim Spiel dargestellt waren. Die Geste des sich zu seinem Kollegen umdrehenden dritten Kitharöden (Figur 25) dagegen läßt vermuten, daß die Kitharaspieler Muße hatten, sich zu unterhalten und somit gerade nicht mit dem Saitenspiel beschäftigt waren. Hinter den Musikanten gehen sechzehn greise Thallophoren (Zweigträger). 

Abbildung oben rechts: römische Marmorstatue Rom, Vatikan, Apollon Musagetes, aus Tivoli, 2. Jh. n. Chr. nach einem hellenistischen Vorbild des 2. Jh. v. Chr., nach LIMC II (1984)  s.v. Apollon 135

Nordfries des Parthenon, Platten 40-48 , nach E. Berger/M. Gisler-Huwiler, Der Parthenon in Basel (1996) Taf. 45-47

Zeichnungen Carrey (1674), nach E. Berger/M. Gisler-Huwiler, Der Parthenon in Basel (1996) Taf. 80

Athen, Slg. Niarchos, Goulandris-Mus., attisch-schwarzfigurige Bandschale Bandschale, nach H. Brand, Griechische Musikanten im Kult (2000) Taf. 6

Darstellungen von Musikanten, welche ein Tieropfer begleiten, sind in der zweiten Hälfte des 5. Jh. v. Chr. singulär, waren aber vor allem im 6. und frühen 5. Jh. v. Chr. ein beliebtes Vasenthema (siehe Abb. oben). Dadurch wird deutlich, daß der Parthenonfries insbesondere bei den Szenen des Opferaufzuges, aber auch an anderen Stellen, bewußt auf ein älteres Bildprogramm zurückgreift. 

Durch literarische Quellen ist uns überliefert, daß die Musikanten beim Panathenäenfest aus dem Geschlecht der Euneiden stammten. Sie werden von Euripides, Hypsipyle, als ein Geschlecht bezeichnet, welches Kultämter als Musikanten und Herolde innehatte.

Am Südfries (siehe Abbildungen unten) werden im Anschluß an die Rinder analog zum Nordfries ebenfalls Musikanten ergänzt. Der wichtigste Hinweis ist das verlorene Attribut in der rechten Hand der Figur Nr. S 102, das sich zu einem Plektron ergänzen lassen könnte. Während die Zeichnungen Carreys vom Nordfries die erhaltenen Originale ergänzen, sind sie am Südfries zu ungenau. Die rechteckigen Gegenstände im linken Arm von Figur 104 und 105, welche als Schallkästen der Kitharen gedeutet wurden und die denen am Nordfries sehr ähnlich sind, könnten auch Ostraka oder Pinakes (Bilder) dargestellt haben.  Für ursprünglich dargestellte Aulosspieler geben weder Carreys Zeichnungen noch die erhaltenen Originale einen Hinweis. Da Opferzüge nicht immer von Musikanten begleitet werden mußten - diese fehlen bei der Mehrzahl der Darstellungen im 5. Jh. v. Chr.) - wäre es denkbar, daß am Südfries anstelle der Musikanten andere für die Prozession wichtige Personen wie etwa Grammateis  (Schreiber) dargestellt waren. Gegen eine Ergänzung von Musikanten am Südfries spricht die Beobachtung, daß nicht alle Figuren des Nordfrieses am Südfries Entsprechungen finden. Mit letzter Sicherheit können Musikanten am Südfries aber nicht ausgeschlossen werden.

 Südfries des Parthenon,  nach E. Berger/M. Gisler-Huwiler, Der Parthenon in Basel (1996) Taf. 112

Zeichnung Carrey (1674), nach E. Berger/M. Gisler-Huwiler, Der Parthenon in Basel (1996) Taf. 120 unten


Literatur

Die Literatur zum Parthenon ist kaum mehr zu überschauen. Für den Einstieg seien hier folgende Titel angegeben:

E. Berger/M. Gisler-Huwiler, Der Parthenon in Basel (1996)
H. Brand,
Altertümliches am Skulpturenprogramm des Parthenon, in: Thetis 13-14 (2007) 81-90
F. Brommer, Der Parthenonfries (1977)

Umfangreiche Literatur zum Parthenon allgemein finden sie hier (nach Dyabola).


Letzte Aktualisierung am 4. August 2009

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