Die Phorbeia - ein Hilfsmittel bei antiken Aulosspielern

von

Helmut Brand

 

 

Die Phorbeia, lateinisch capistrum, ist ein häufig von antiken Blasmusikanten verwendetes Hilfsmittel, welches dem heutigen Betrachter der antiken Denkmäler zahlreiche Fragen aufwirft, die noch nicht geklärt werden konnten. Sie besteht aus einem um den Kopf geschlungenen Band, welches den Mund bedeckt und besitzt Auspaarungen zur Aufnahme der Instrumente. Sie wird vor allem von Aulosspielern benutzt, gelegentlich aber auch von Salpinxspielern (Abb. unten li.). Den Ursprung der Phorbeia kann man im Orient vermuten, da sie zuerst auf einem gegen 700 v. Chr. zu datierenden Orthostatenrelief in Karatepe auftaucht (Abb. unten re.).

Die Phorbeia wurde fast ausschließlich von Männern verwendet, die wegen ihrer Kleidung und des ikonographischen Kontextes, in dem sie auftreten (Wettkampf, Kult, Militär etc.), durchwegs als Berufsmusikanten anzusprechen sind.

Von Salpinxspielern wird die Phorbeia nur bis ca. 480 v. Chr., von Aulos- bzw. Tibiaspielern dagegen bis in die römische Kaiserzeit benutzt. In der Spätantike und im Mittelalter wurde die Phorbeia bzw. das capistrum nicht mehr verwendet.

In der bisherigen Forschung wurden für die Verwendung der Phorbeia folgende Möglichkeiten in Betracht gezogen:

Die Phorbeia sei nötig:

  • zur Unterstützung der Backenmuskulatur sowie aus ästhetischen Gründen, um das starke Aufblähen der Backen zu verhindern.
  • um den Rohren besseren Halt zu geben, damit der Musikant sich auf das Greifen konzentrieren könne.
  • zur Unterstützung der Lippenmuskulatur sowie zur Optimierung des Anblasens der beiden Rohre, um dem Musikanten das starke Zusammenpressen der Lippen zu erleichtern, damit neben den Rohren keine Luft entweicht.
  • zur Regulierung des Ausatmens, um einen besseren und längeren Ton zu erhalten.

Die beiden ersten Erklärungsversuche scheinen unwahrscheinlich, da das Gerät selbst das Gesicht des Musikanten entstellt und, wie man im Selbstversuch feststellen kann, das Fixieren von zwei Flöten keine besondere Anforderungen an die Lippenmuskulatur stellt. Die beiden letzten Punkte klingen plausibler: Bei der Verwendung der Phorbeia kann der Musikant ausschließlich durch die Nase einatmen, da der Mundraum praktisch dicht abgeschlossen ist. Der dem Mundstück zugeführte Luftstrom wird so optimal genutzt wird, und es entweicht kaum Luft ungenutzt, so daß sich der Ton bei jedem Atemzug etwas verlängern läßt. Zudem kann sich der Musikant durch dieses Hilfsmittel mehr auf das eigentliche Spiel konzentrieren. Ein weiterer Effekt könnte in der besseren Regulierbarkeit des Luftstromes im Sinne eines gleichmäßigeren Blasens liegen.

Dennoch wirft das Gerät noch zahlreiche Fragen auf, die der Verfasser in dem Aufsatz "Überlegungen zum Gebrauch der Phorbeia", in: Studien zur Musikarchäologie Bd. 3 (2002) 375 ff. zu beantworten versucht.


Literatur zur Phorbeia:

H. Becker, Zur Entwicklungsgeschichte der antiken und mittelalterlichen Rohrblattinstrumente (1966) 120-129.
A. Bélis, La Phorbéia, in: BCH 110, 1986, 205-218.
H. Brand, Griechische Musikanten im Kult (2000) 117-118 und öfter.
H. Brand, Überlegungen zum Gebrauch der Phorbeia, in: Studien zur Musikarchäologie Bd. 3 (2002) 375 ff.


Aktualisiert am 4. März 2008.

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